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„ich“ sagen müssen wollen
über michael laub

„Hallo, ich bin Robert“, „Ich bin Asli, geboren durch Zufall in Istanbul“, „My name is Günce“, „Ich heiße Seher Sentürk“, „Hallo, I'm Greg“. Sie tragen ihre tatsächlichen Namen und unternehmen auch sonst wenig, um auf der Bühne etwas anderes darzustellen als die Person, für die sie sich selbst halten. Gecastet hat sie der belgische Choreograf und Regisseur Michael Laub für seine neuen Porträt-Serien in Istanbul und Rotterdam und für den tragikomischen Abend über Chorus-Line-Existenzen „Death, Dance & Some Talk“.

Angeregt hat das Format Tom Stromberg, der damalige Intendant des Hamburger Schauspielhauses. Er war von dem porträtartigen Charakter der früheren Soloarbeiten fasziniert und beauftragte Laub mit einer Serie sechsminütiger Miniaturen, in denen Schauspieler und Mitarbeiter des Schauspielhauses „Ich” sagen.

Anders als beispielsweise in August Sanders epochalem Bildatlas „Menschen des 20. Jahrhunderts” repräsentieren die Porträt-Serien Berlin, Rotterdam und Istanbul nicht den Typus einer bestimmten Bevölkerung, einer Klasse, eines Berufsstandes oder einer Stadtgesellschaft. „Sanders Methode einen repräsentativen Querschnitt aufzuzeichnen, um zu einer möglichst vollständigen Bestandsaufnahme zu gelangen, geht von der Vorstellung aus, eine Gesellschaft sei eine erfassbare Gesamtheit, schreibt Susan Sontag. Mit der enzyklopädischen Idee von einer erfassbaren Gesamtheit, die sich in Typologien und Archetypen auffächern ließe, hat die Arbeit Michael Laubs wenig gemeinsam.

Seine Passion ist der Fehler im System: das irritierende  Detail, die störende Erinnerung, der unperfekte Körper, das eigenartige Erlebnis, die blanke Unschuld oder der haarsträubende Härtefall. Die Performer pendeln in ihren Kurzerzählungen zwischen gewöhnlichen oder glamourösen Realitäten, bis die Grenze zwischen Kunst und so genanntem Leben, dem Professionellen und Amateurhaften, dem Absichtsvollen und dem Unabsichtlichen zu verwischen beginnt. Man könnte auch sagen: Sie zelebrieren verschiedene Versionen des Authentischen.

Dieser Effekt erinnert an den Surrealismus. Nur rückt Michael Laub das Gemachte seiner Arbeiten stets ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Auf der blanken Szene ist ein Fotostudio installiert. Bühnentechniker treten zwischen den einzelnen Auftritten auf, ziehen an Strippen, justieren die wechselnden Farbprospekte, rücken Stühle, richten das Licht neu ein. Damit setzen sie klare Zeichen: Der Raum der Bühne ist kein geschlossener Machtbehälter, sondern ein offenes Studio oder Atelier, das eine Nähe zum Publikum schafft, in der sich bewegliche Selbstbilder und Fremdbilder kreuzen.

Die klassische Studioaufnahme ist eine Art Zeremoniell, in dem – sehr verkürzt ausgedrückt – das Subjekt zum Objekt wird. Wer kennt ihn nicht, diesen schroffen Augenblick beim Anblick des eigenen Porträts: Das bin nicht ich! Das ist nicht die Person, für die ich mich halte!

In den Arbeiten von Michel Laub geschieht etwas anderes. Zwei Erfahrungen überblenden sich hier und beanspruchen beide ihre Wirklichkeit: die des betrachteten Subjekts und die des sich erlebenden und sich entwerfenden Subjekts. Es geht ums Zeigenmüssen und Wollenkönnen in einer Gesellschaft, in der die Kunst der Darstellung das private und öffentliche Leben gleichermaßen bestimmt. Die Rolle des Regisseurs konzentriert sich darauf zu pointieren, zu rhythmisieren, anzuordnen, ohne dabei je eine Wertung vorzunehmen oder eine Hierarchie zu etablieren. Mit seiner subtilen Anwesenheit stellt er den formalen und emotionalen Rahmen für eine kollektive, unabgeschlossene Urheberschaft.

Die Porträtierten entscheiden selbst über die Pose, die sie probeweise einnehmen, über den Aspekt ihrer Vergangenheit, den sie beleuchten und die Art ihres Erscheinen und Verschwindens. Greg, Asli, Robert, Wilma, Fabian, Ariette oder Jeroen – sie alle stellen eine Präsenz her, die das Unformulierte und Ausgelassene in der Fantasie des Zuschauers explosionsartig vervielfältigen lässt. Mit jeder Geste, jedem Satz ihrer skizzenhaften Umrisse verteidigen sie das Freischwebende ihrer Existenz und das verletzliche Recht auf Individualität.

Mit seinen Live-Shots haben Michael Laub und seine Performer einen theatralen Bildatlas entwickelt über Menschen des 21. Jahrhunderts und die Schwierigkeit des Existierens in und vor den Augen der anderen. Das macht ihre starke Anziehungskraft und ihre politische Aktualität aus.

november 2010


veröffentlicht in: formen künstlerischer zusammenarbeit. sophiensaele 2007–2010. hrsg. von heike albrecht und matthias dell. berlin 2010. nachgedruckt in: michael laub: burgporträts. programmheft des burgtheaters wien, märz 2011.

 

www.michael-laub.com