Mischa Kuball Düsseldorf, © Yun Lee
düsseldorf, 08 mai 2013
der ort ist handlung.
über die performative kraft des lichts
im Gespräch mit Mischa Kuball
Mit Licht private und öffentliche Räume
erforschen, soziale und politische Diskurse anregen,
mit einfachen Mitteln komplexe Themen ansprechen, das ist
die Kunst von Mischa Kuball. Seit 1984 erforscht der Düsseldorfer Medien- und
Konzeptkünstler mithilfe des Mediums Licht architektonische Räume. Er reflektiert
die unterschiedlichen Facetten von kulturellen Sozialstrukturen bis hin zu architekto-
nischen Eingriffen, die den Wahrzeichencharakter und den architekturgeschichtlichen Kontext betonen oder
neu kodieren. Das Gespräch wurde geführt anlässlich seiner neuen Arbeit „Agora/Arena“,
einer Lichtinstallation an der Bochumer Jahrhunderthalle im Auftrag der Ruhrtriennale 2013
Marietta Piebenbrock
Dezember 2012, an der Bochumer Jahrhunderthalle. Bunte Lichtlinien, -punkte, -stege und -wege setzen Ausrufezeichen in den dunklen Nachthimmel. Die Kühltürme schimmern blau, die Wasserbecken sind orange gerahmt, der Wasserturm trägt eine Lichtmanschette in grün. Die Park- und Grünanlagen, die innerhalb der letzten Dekade rund um die Industriedenkmäler in Duisburg, Essen, Dortmund und Bochum entstanden sind, inszenieren die Industriekultur als schillernde, atmosphärisch aufgeladene Erlebnisparks. Sie schüttelten den Kopf. »Eine Effekttragödie!«. Was, Mischa Kuball, ist eine Effekttragödie?
Mischa Kuball
Vieles was passiert, hat eine Berechtigung auf Zeit. Ich habe im Grunde nichts gegen effektbezogene Beleuchtung. Ich würde sie sogar als ein künstlerisches Mittel einsetzen, wenn es darum geht, einen Ort neu zu markieren.Wir dürfen nicht vergessen, dass alle, die diese Orte gar nicht anders kennen, keinen Clash erleben: Wer von uns kann sich noch an die Jahrhunderthalle als industriellen Produktionsort erinnern, an die damit verbundenen Geräusche, Emissionen, Gerüche oder an das Feuer, das beim Abstich den Himmel rot gefärbt hat? Diese Szenarien haben zwar Effekte erzeugt, waren aber nicht als Effekt gemeint. Man hat diese Orte mit Licht inszeniert, um sie für Kunst und Kultur zu reklamieren.Vielleicht braucht es heute die Bereitschaft und den Mut, diese Effektlichter zurückzubauen. Mich interessiert, wie wir die Öffentlichkeit dieser Orte heute neu überschreiben können.
mp
Ihre neue Arbeit trägt einen philosophisch-politischen Titel: Agora/Arena. Vor allem im Ausland verwandeln sich öffentliche Plätze gerade von Orten der Repräsentation wieder in Handlungsräume.
Sie werden zu Bühnen, auf denen sich Subjekte und Prozesse konstituieren. Handelt die deutsche Wirklichkeit nicht eher von der Kommerzialisierung des öffentlichen Raums?
mk
Der Untertitel zu "Agora/Arena" könnte lauten ›Rückeroberung‹ – es gab eine Eroberung, dann gab es eine Gegenbewegung, die für den öffentlichen Raum eine Ökonomisierung bedeutete. Zur Zeit der Demonstrationen – ich spreche von den 70er und frühen 80er Jahren – war der öffentliche Raum Plattform, Arena und Bühne. Danach wurden die Kundgebungen zurückgedrängt. Als ich 2007 die Aktion "Public Square" als öffentliche Performance in der Hamburger Innenstadt angemeldet habe, rief mich der Innensenator an und sagte: »Wenn Sie’s als Demonstration machen, ist es kostenlos, als Teil Ihrer bürgerlichen Ausstattung. Aber wenn Sie’s als Kunstperformance machen, dann kostet Sie das 15.000 Euro Straßensicherung, Polizeiabsperrung usw.« Die Ordnungskräfte reklamierten sogar schon selbst, dass es zu wenige Demonstrationen gab. Es ist wichtig, sich diese Situation vor Augen zu führen und wieder an den Citizen zu appellieren. Es gehört doch zur Selbstverpflichtung des Staatsbürgers, diesen öffentlichen Raum für individuelle Gesten zu nutzen. Stattdessen lässt er sich gängeln, drangsalieren oder kontrollieren. Die Ökonomisierung ist der wichtigere, buchstäblich raumgreifendere Aspekt geworden. Ich war in den 70er Jahren in der Düsseldorfer und Berliner Hausbesetzerszene aktiv, also einer Bewegung, die gesagt hat: Wir sind gegen diese Kapitalisierung des Stadtraums – damals existierte der Begriff ›Gentrifizierung‹ noch nicht. Ich glaube bis heute daran, dass man diesen Raum nicht kampflos aufgeben darf.
mp
Syntagma-Platz in Athen, Tahrir-Platz in Kairo, Zuccotti Park in New York, Puerta del Sol in Madrid, Taksim-Platz in Istanbul – die Auseinandersetzungen auf diesen Plätzen entspringen lokalen Gegebenheiten, aber gemeinsam haben sie, dass nicht-homogene Gruppen einen demokratischen Raum suchen, damit Themen und Strategien eine Verbindung eingehen können. Bemerkenswert ist doch, dass diese Proteste sesshaft und die öffentlichen Plätze und Parks plötzlich wieder wichtig geworden sind ...
mk
Ein Platz wird zur Agora, zur Arena, zum Ort des Verweilens, der Diskussion, des Handelns.Wenn man heute den Begriff ›Agora‹ benutzt, dann meint man natürlich die Urform der demokratischen Begegnung, die in der Zeit, 385 v. Chr., übrigens ganz stark mit der Philosophie verbunden war, also der Lehre, die sich mit dem Verhältnis vom Menschen zum Menschen beschäftigt. Es geht um direkte Beziehungen, die an einem konkreten Ort verhandelt werden. Nach der industriellen Revolution, nach der Entdeckung der Endlichkeit von Kohle und Stahl, entsteht jetzt eine kulturelle Produktion, die diesen Ort neu rhythmisiert – ob in einer Musiktheaterinszenierung von Heiner Goebbels, einer Oper von Helmut Lachenmann, einer Choreografie von Anne Teresa De Keersmaeker oder in einer Zeichnung von Dan Perjovschi. Die eigentliche Revolution ist doch diese: Jeder Ton, jede Bewegung, jede Geste, jede Linie ist so etwas wie die verlängerte Form der Idee, dass es um Beziehungen geht, um Beziehungsgeflechte zwischen Mensch, Kunst und Welt. Früher habe ich mich einfach in einem Müllsack auf die Straße gelegt und habe gewartet, was passiert.Wie reagieren Fußgänger auf eine dem Menschen ähnelnde Form? Manche haben dagegen getreten, andere haben versucht, ein Loch zu machen, um zu überprüfen, ob die Atembewegung tatsächlich von einem lebenden Menschen verursacht wird.
mp
Bis heute ist Mischa Kuball auf der Suche nach dem Medium, das seiner Weltsicht entspräche. Dem, wie seine Augen sehen und seine Sinne wahrnehmen. Er experimentiert jedes Mal aufs Neue und doch läuft es am Ende immer wieder darauf hinaus: Licht ist das Medium, das seiner Weltsicht am Besten entspricht. Aber das wäre der falsche Einstieg gewesen. Denn, sich dem Künstler Mischa Kuball und seinem Werk zu nähern, bedeutet, die Menschen zu beschreiben, die seine Räume und Skulpturen betreten, kreuzen, benutzen oder sie durch ihre bloße Anwesenheit oder künstlerische Nachbarschaft mit erzeugen. Wenn gilt, dass das Geheimnis des Theaters in dem Dreiecksverhältnis von Raum, Zeit und Täuschung liegt, dann könnte man sagen: Das Geheimnis seiner Kunst ist Raum, Zeit und Mensch. Aber auch das wäre (zumindest auf den ersten Blick) ein falscher Einstieg gewesen, weil ein Medien- und Konzeptkünstler (und als solcher versteht er sich) ja eigentlich gern alles Menschliche gründlich unter Kontrolle hat. Von Kuballs Kunst zu lernen, bedeutet, die eigene Position für den anderen einzusetzen. Seine Arbeiten zielen auf sein Gegenüber ab, seine Sichtweisen, seine Intelligenz, seine Emotionalität, seine Ängste, seine spontanen Handlungen – eben auf das ganze Gewohnheitsmäßige oder unberechenbar Radikale seiner Existenz. Sie setzen, wie wenige andere, das Medium Licht zur Kommunikation ein. Welche Rolle spielen dabei verborgene Schatten?
mk
Die verborgenen Schatten entstehen natürlich immer dann, wenn Dinge ins Licht eintreten, die nicht Teil der geplanten Intervention sind. Unverzichtbar für eine funktionierende Gesellschaft ist die Vereinigung des Selbst und seiner Schatten mit der übrigen Welt.
mp
Nun sind Sie kein Mystiker, eher ein Rationalist, wenn es um Licht geht: Ganz von dieser Welt.
mk
Ich gebe ein Beispiel: Für "New Pott" haben wir über drei Jahre einhundert Familien besucht und befragt, um eine neue Kartographie für die Ruhrregion anzulegen. Zu jedem Gespräch haben wir ein Licht mitgebracht, als Geste, als Geschenk. Das Licht war versehen mit einem Satz: »Lux venit in mundum« – »Das Licht kommt in die Welt«. Der Satz stammt aus dem Johannes-Evangelium, er hat also eine biblische Konnotation. Durch seine lateinische Sprachform haftet ihm etwas universal Gültiges an. Das Interessante war, dass die Lichtkugel, verbunden mit diesem Satz, an jedem Ort sofort eine Situation der Kommunikation, des Sprechens, des Miteinander-ins-Gespräch-Kommens definiert hat. Das Licht hatte mit seinen 6.000 Kelvin Lichttemperatur eine eher unangenehme, kühle Ausstrahlung. Aber erst dieses Moment des Unangenehmen hat die Geschichten der Menschen ans Licht gebracht, die man auch als verborgene Schatten bezeichnen könnte. Das Licht hat etwas in Gang gesetzt.
mp
Licht als Impulsgeber für individuelle Gesten oder soziale Prozesse. Worin liegt der Zusammenhang zwischen Licht und Erzählung, zwischen Licht und Handlung?
mk
Die besondere Kraft des Lichts erklärt sich – zwar nicht hinreichend, aber vielleicht ansatzweise – durch den neurophysiologischen Einfluss des Lichts. Licht dringt durch unsere Augen und durch die Haut, dabei werden im Körper gewisse Amalgame und Prozesse aktiviert. Der Sympathikus wird angeregt, sendet Impulse, Stoffe werden ausgeschüttet. Bevor ich also überhaupt ein Bewusstsein oder ein Bild davon habe, was ich konkret sehe, hat mich das Licht schon erreicht und das System stimuliert. Das ist seine unglaubliche Kraft! Im Unterschied etwa zu James Turrell, der sich den phänomenologischen Bedeutungen des Lichts stark öffnet, oder zu Olafur Eliasson, der sich intensiv mit den physikalischen, metaphysikalischen oder metaphysischen Qualitäten des Lichts beschäftigt und sich damit in einem naturwissenschaftlichen Experimentalraum bewegt, könnte das Licht, welches ich benutze, genauso gut den Parkplatz am Sportplatz von Pulheim beleuchten. Das tut es auch, aber diese Lampen stammen aus der benachbarten Synagoge von Stommeln. Dort haben Architektur und Geschichte das Licht so geformt, dass es zu einer Metapher für Exklusion in der Gesellschaft wurde. Seine Bedeutungen oszillieren zwischen leuchten und brennen, bewahren und beschützen, zwischen zeigen wollen und sich zeigen wollen. Mit diesen Ambivalenzen hat meine Arbeit "Refraction House" (1994) gespielt. ›››
mp
››› Heute gilt sie als eine Ihrer Schlüsselarbeiten. Sloterdijk prägte mit Blick auf Ihr Werk den Begriff ›Lichtpolitik‹.
mk
Ja, der Begriff ist zu einer Art Brennglas geworden, durch die meine Arbeit gern betrachtet wird. Ich selbst würde den Begriff nur als Zitat benutzen, nicht zur Selbstbeschreibung. Refraction House ist ein gutes Beispiel dafür, dass die Zuweisung des Politischen im Auge des Betrachters passiert. Jemand blickt auf die Arbeit und setzt durch seinen Blick verschiedene Bedeutungen frei.
mp
Agora/Arena ist Teil der public preposition, einer Reihe künstlerischer Interventionen in verschiedenen europäischen Städten. Jeder kulturelle Ort, ob Kino, Museum, Theater oder Opernhaus, hat einen Platz, ein Foyer, eine ›Präposition‹ im Sinne von Vorfeld, um die Zuschauer zu empfangen. Man könnte sogar sagen: Die Architektur choreografiert unsere Bewegungen und Bedürfnisse. An der Kasse kaufen wir unsere Eintrittskarte, an der Garderobe geben wir unseren Mantel ab, an der Bar trinken wir einen Espresso. Nun mischen sich einige Ihrer Arbeiten gezielt in diese gelernten Choreografien ein. Was gefällt Ihnen daran nicht?
mk
Die Frage ist gut gestellt, weil ich sie mir selbst noch nie gestellt habe. Es ist nicht so, dass ich jedes Mal, wenn ich mir eine Oper, eine Ausstellung oder einen Film ansehe, den Impuls verspüre, das Foyer umzubauen! Aber interessant ist tatsächlich, dass ich mich für "Das Gesicht im Spiegel" an der Oper am Rhein in Düsseldorf, ein Musiktheaterprojekt des Komponisten Jörg Widmann, lange damit beschäftigt habe, wie für das Publikum der Opernabend beginnt. Und er beginnt eben nicht erst im Zuschauerraum! Ich hatte eine Reihe von Mikroeingriffen entwickelt: Beispielsweise wurden im gesamten Opernhaus alle Spiegel weiß gestrichen. Ausgespart blieben nur die Spiegel in den Garderoben der Sängerinnen und Sänger. Die Menschen haben sofort reagiert, sie haben versucht die Farbe wegzuwischen, haben sich mit Farbe beschmiert … Das war großartig! 2011 habe ich in Bern für das Theaterfestival Bone die Fenster und Türen des Theaters ausbauen lassen. Die Straße wurde gesperrt, der Verkehr so umgespurt, dass er mitten durch das ehemalige Schlachthaus führte. Zur Einweihung dieses neuen öffentlichen Ortes haben wir 400 Schafe durch das Theater getrieben. Die Performance dauert 90 Minuten, danach standen die Tore des Theaters für 24 Stunden weit offen.Am nächsten Tag wurde alles wieder zurückgebaut, das Theater nahm seinen Betrieb wieder auf. Die Aktion "public preposition Nr. 4" hat die Realität nur um zwei Meter verschoben, aber die Menschen wurden so wieder mit der Geschichte des Ortes konfrontiert. Manchmal bringen kleine Irritationen Dinge aus ihrem wohlgemeinten Gleichgewicht.
mp
Wohlgemeintes Gleichgewicht – was meinen Sie damit?
mk
Ein wohlgemeintes Gleichgewicht erfüllt Erwartungen. Das bedeutet, dass der Zuschauer keine Entwicklungsanstrengung mehr unternehmen muss. Sloterdijk hat in seiner denkwürdigen Elmauer Rede von 1999 "Regeln für den Menschenpark" beschrieben, dass der Mensch aus sich heraus Entwicklung nicht mehr leisten kann. Die Rede löste eine intensive, kontroverse Diskussion über die Anwendung genmanipulativer Technologien auf den Menschen aus. Die Notwendigkeit zur unablässigen Weiterentwicklung steht zurzeit für mich in einem krassen Gegensatz zu den aktuellen Bildungsreformkonzepten. Im Moment besteht Bildung aus Bildungsdruck und Wissensanhäufung. Prozesse sollen beschleunigt oder verkürzt werden. Dabei kommt das, worum es eigentlich geht, nämlich um Entwicklung, zu kurz. Entwicklung ist angewiesen auf den Faktor Zeit. Das Verweilen, das Ein- und Ausatmen, der Moment, der notwendig ist, damit sich ein Wirkungsfeld entwickeln kann – Regisseure kürzen das heute gern raus, weil sie eine geschlossene, sphärische Form bilden wollen, die dem Publikum keine Möglichkeit zur Flucht lässt. In ihrem Blickfeld dominiert der weniger selbstbewusste Zuschauer. Der emanzipierte Zuschauer übersteht auch drei Pausen!
mp
Was erwartet den Zuschauer auf dem Vorplatz der Jahrhunderthalle?
mk
Die Dinge, die ich benutze, sind zum Teil schon da. Die Tribüne, so wie wir sie aus dem Zuschauerraum kennen, wird im Außenraum zu einer skulpturalen Treppenfigur. Gleichzeitig führt ein imaginäres Band durch die Scheiben in das Foyer, das selbst wie eine Bühne funktioniert. Menschen bewegen sich, gehen unterschiedlichen Interessen nach. An dieser Schnittstelle setzt die Arbeit an und beginnt, zwischen Akteuren und Zuschauern zu unterscheiden. "Agora /Arena" unterbricht mit einem sehr einfachen Werkzeug den Rhythmus und Automatismus des Publikums. Ich kann mich entscheiden, ich muss mich sogar entscheiden. Selbst wenn ich mich nicht entscheide, einen Umweg zu nehmen, habe ich mich entschieden. Die Beobachtung der Nicht-Inbetriebnahme ist für mich eine Urerfahrung. Beide Phänomene sind interessant: Menschen nehmen ein Objekt in Besitz, andere machen einen Bogen darum. Man kann mit Licht Aufmerksamkeit erzeugen und den Blick steuern, so dass der Raum neu definiert wird. Dadurch entsteht ein Versprechen auf Zeit. Es lautet: Hier kann etwas verhandelt werden. Der Ort ist Handlung.
Der Ort ist Handlung. Mischa Kuball über Mensch, Kunst, Welt und – Licht.
Veröffentlicht in: Agora / Arena. Programmheft Ruhrtriennale 2013