laudatio
auf das künstlerduo gintersdorfer /klaßen
25 jahre
fonds darstellende künste verleihung des george-tabori-preises 2010 berliner
ensemble
Sehr geehrte Damen und Herren
Dies
ist eine Laudatio auf die Lässigkeit. Auf die schnurgrade Lässigkeit
mit der Monika Gintersdorfer – halb Luftgeist, halb Marktforscherin – im
deutschen Stadt- und Staatstheater fast verschmorte bis sie sich neu
entzünden konnte. Sich rettend vor den Zumutungen von Ort, Zeit und
Handlung träumte sie einen Traum ohne alles: ohne Konkurrenz- und
Produktionsdruck, ohne Aktualitäts- und Authentizitätsdiktat, ohne
Generations- oder Globalisierungstress, ohne Theatertreffen- oder
Sexyness-Zwang. Das dialektische Problem lag nun darin, alldem
auszuweichen zu wollen, sich vor den kategorischen Substantiven
nonchalant seitwärts aus dem Staub zu machen und trotzdem Frau der Lage
zu bleiben. Es ist ihr gelungen. Sie und ihr Mitunterwanderer, der
bildende Künstler Knut Klaßen, sind in kurzer Zeit zu Ms und Mr Big der
freien Szene avanciert. Und natürlich ist ihre gemeinsame Arbeit alles
zugleich: authentisch, international, originär, genial global, offensiv
sexy und verschwenderisch produktiv.
Auf
ihrer Bühne treffen Kulturen aufeinander. Doch kommt es dabei nicht zum
Clash, sondern es entsteht eine Poetik der Vielheit. Ein Begriff, den
der Philosoph Edouard Glissant ins Spiel brachte, um als einer der
ersten die Globalisierung als ein kulturelles Phänomen zu begreifen,
dass nicht nur Gleichmacherei, sondern auch Differenzierung und Vielfalt
bedeutet. Sein Denken entspringt dem Lernen am Unmaß einer sich schnell
entwickelnden und verändernden Welt.
Im
Theater von Gintersdorfer/Klaßen inszeniert sich dieses Lernen am
Unmaß als ein superber Mix aus Travestie, Trash, Showbiz und
deutsch-ivorischer Demi-Monde. Das Professionelle mischt sich mit dem
Amateurhaften, das Souveräne mit dem Naiven, das Fremde mit dem Eigenen.
Für ein interessenloses Auge sind die choreografischen Dialoge
vielleicht nichts weiter als glorifizierter Dilettantismus. Auf der
Bühne wird schließlich nichts gezeigt, was der Zuschauer nicht auch
selbst nachmachen oder einfach hinzufügen könnte. In gewisser Weise sind
„Othello c’est qui“, „Très, très fort“, „Logobi“, „Rue Princesse“
Lektionen an Bescheidenheit, in denen gleichzeitig – und das ist ihr
unterhaltsames Paradox - eine herrliche Anarchie der Anmaßung herrscht.
Zum
Beispiel in „Betrügen“, dem heimlichen selbstoffensiven Manifest im
Repertoire von Gintersdorfer/Klaßen. Hier erzählen die drei Performer
Gotta Depri, Hauke Heumann, Franck Yao alias Gadoukou la Star voller
Stolz und Hingabe einen funkelnden, überkandidelten Traum. Er handelt
von einer Gruppe selbst ernannter Stars, der Gruppe Jetset. Sie haben
zwar kein Geld, aber sie sind intelligent: Bevor sie ausgehen, rufen sie
den Chef vom Club an: „Hey, heute Abend kommen wir zu Dir“, sagen sie.
„Damit Du bescheid weißt: Wir wollen da sitzen, wo alle Leute uns
sehen.“ Danach rufen sie den DJ an. „Hey, heute Abend kommen wir in den
Club, aber bevor wir da ankommen, musst Du immer unsere Namen sagen.
Damit Du das nicht vergisst, schicken wir Dir alle 30 Minuten eine SMS.“
Diese Anrufe gehen so gegen 22.00 Uhr im Club ein. Um 5.00 Uhr morgens
kommen sie dann tatsächlich, performen ihre Intelligenz, ihre eleganten
Klamotten und ihren Reichtum. Das tun sie etwa eine halbe Stunde lang,
um den Ort dann wieder zu verlassen. „Il s’en vont“ raunt es durch den
Club. „Jetzt gehen sie auf ihr Schloss“.
In
der Realität gibt es natürlich kein Schloss, nur ein besetztes Haus.
Mit Glamour und Lifestyle machen sich die Jetsets unangreifbar vor den
Zugriffen von Polizei und Justiz. Aus Underdogs und Rebellenführern
werden so die Bosse. Sie übernehmen Banken, Botschaften und
Regierungsämter. Das ist ihre Strategie. Das ist ihre Protestkultur mit
der sie die Verhältnisse zum Tanzen bringen.
Gibt
man die Adresse dieses Abends, Bertolt Brecht Platz 1, in die Suchzeile
ein, um aus der rauschhaften Google-Earth-Perspektive auf diesen Ort am
Schiffbauerdamm zuzurasen, dann sieht man in der weiteren Umgebung
andere, auf den ersten Blick logischere Orte für die Verleihung dieses
Preises: Das Hebbel am Ufer, die Sophiensaele, das Radialsystem, das
Haus der Kulturen. Nun sitzen wir aber mitten im bürgerlichen Wohnzimmer
der Stadt Berlin. Und da dieses Theater sich näher am Kanzleramt
befindet als andere, offenbart sich unsere Aufgabe eben hier deutlicher
als anderswo:
Einen
großen bunten Teppich sollen wir weben, wir, das sind die
unbeauftragten Integrationsbeauftragten, die Künstler, Kuratoren und
Produzenten. Bisher ist dieser Teppich so groß wie ein Topflappen. Also
arbeiten wir weiter an dieser Aufgabe und bringen Bewegung in einen
Kulturraum, in dem noch immer der Terror der Zimmerperspektive und eine
fremdenfeindlichen Grundstimmung herrscht: gegen die Türken, gegen die
Afrikaner, gegen die sans papiers, die Muslime, die Migranten, ihre
Nordstädte und Banlieus. Und vielleicht ist dieser deutsch-deutsche Ort
zwischen den drei Zentralmassiven des deutschen Theaters
Brecht-Tabori-Peymann tatsächlich der Beste von allen, um einen
brüchigen Utopismus auszuzeichnen, der den Bürgerkrieg an der
Elfenbeinküste als ein lokales Modell für eine Krise performt, die
überall den gleichen deprimierenden Konflikt hat: zwei Ideologien, zwei
Systeme stehen sich feindlich, fragend gegenüber und finden keine
gemeinsame Sprache.
So
wie der komplexe Sinn von Städten in der Vielfalt von
Auswahlmöglichkeiten liegt, liegt auch der komplexe Sinn von Spielplänen
im großen Zugleich an Handschriften und Stimmen, die auf keinen Nenner,
keinen Kanon, keinen einen Begriff zu bringen sind. Im Idealfall ist
jeder Spielpan ein Integrationsgipfel auf dem eine Sprache gesprochen
wird, die alle verstehen: die der zeitgenössischen Kunst.
Vielleicht
wird das Duo Gintersdorfer / Klaßen jetzt so weitermachen. Vielleicht
auch ganz anders. Es ist gleich. Denn in ihrem Leben tun beide immer nur
ein und dasselbe: sich im Bauch der Städte aufhalten, wichtige Themen
zum Tanzen bringen und mit beiden Händen nehmen, was zu kriegen ist. Zum
Beispiel diesen Preis. Herzlichen Glückwunsch!